Die Tugend des guten Todes

Sonntag, den 01. September 2013 um 13:27 Uhr
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"Und wenn das Leben hier auf Erden gut ist, wodurch erwirbt es den Anspruch auf diese Bezeichnung, wenn nicht durch die Tugend und Reinheit der Sitten? Der Vorzug liegt also keineswegs in der Verbindung von Leib und Seele, sondern darin, daß man durch die Tugend Alles, was sonst im Leben als Übel gelten muß, siegreich zurückweist. Die Wohltat aber, welche den Tod begleitet, tritt sofort ein, indem Das, was der Seele recht eigentlich angehört, mehr als Das, was im Gefolge der Verbindung von Leib und Seele sich kund gibt, zur vollen Wirksamkeit entfaltet wird. Wenn nun das Leben, sofern sich in ihm die vom Leibeselend losgelöste Seele abspiegelt, gut ist; wenn ferner die Seele gut und heilig genannt werden muß, welche sich losmacht von den Fesseln des Leibes: dann ist der Tod unter allen Umständen eine Wohltat, weil er die Seele aus der Gemeinschaft dieses Leibes für immer löst und befreit. Die Abtötung, das fortgesetzte Sterben soll in uns das Leben wirken: ein glückseliges Leben nach dem Tode, nach errungenem Siege, nach hartem Kampfe. Dann wird das Gesetz des Fleisches dem Gesetze des Geistes nicht mehr widerstreiten; dann wird kein Kampf mehr stattfinden mit dem Leibe des Todes; dann wird auch in ihm der Sieg nicht mehr können gefährdet werden." Hl.Ambrosius von Mailand

Der Weise löst, wenn er jenes himmlische Gut sucht, seine Seele vom Leibe; er gibt die Verbindung auf, indem er nach einer Erkenntniß der Wahrheit strebt, welche er ganz unverhüllt und offen dargelegt wünscht: darum aber wünscht er seinen Geist von den Umstrickungen und Übeln dieses leiblichen Lebens befreit zu sehen. Mit unseren Händen, Augen und Ohren können wir jene höchste Wahrheit nicht erfassen. Was gesehen wird, ist zeitlich, was aber nicht gesehen wird, ewig. Auch werden wir oft durch unsere Augen Täuschungen ausgesetzt und sehen gar Vieles anders, als es ist. In gleicher Weise ist das Gehör Täuschungen unterworfen. Wir müssen also, wenn wir vor Trug und Täuschung sicher sein wollen, nicht Das betrachten, was sichtbar ist, sondern Das, was unsichtbar ist. Oder wie soll die Seele der Täuschung entgehen, wie soll sie dem Throne der Wahrheit nahen, wenn sie nicht gewissermaßen zuvor vom Leibe scheidet und so der Täuschung und Irreleitung desselben sich entzieht?

Irregeführt wird die Seele durch den Blick des Auges, durch das Aufhorchen des Ohres: darum soll sie beiden sich entziehen. Darum sagt der Apostel: „Rühret nicht an, kostet nicht, tastet nicht an, was zum Verderben gereicht!“ (Koloss. 2, 21.) Alles gereicht wirklich zum Verderben, was in strafbarer Nachsicht gegen den Leib beruht. Um zu zeigen, daß er nicht durch solche Nachsicht, sondern durch Erhebung des Geistes wie durch Demuth des Herzens die Wahrheit gefunden habe, fügt er hinzu: „Unser Wandel ist im Himmel.“ Dort sucht er das Wahre und Ewige, dort sammelt er sich in sich selbst und erreicht die Höhe der Tugend; er will sich nicht Anderen anvertrauen, sondern in sich selbst will er zur Erkenntniß gelangen. Was er als wahr erfaßt, dem will er in richtiger Erkenntniß folgen; was er aber als begehrenswert für irdische Lust erkennt, Das will er als ein Trugbild verabscheuen und fliehen.

Und wer hat denn auch jemals mit den Augen des Leibes den himmlischen Glanz der Tugend geschaut? Wer konnte die Gerechtigkeit mit seiner Hand ergreifen und festhalten? Wer darf sagen, daß er die Weisheit mit dem Aufblicke seines Auges entdeckt habe? Ja wenn wir in besonderer Weise dem Denken uns hingeben, so sorgen wir, daß uns Niemand belästigt; wir wollen mit unseren Ohren Nichts vernehmen, und wir versenken uns so ganz und gar in geistige Tätigkeit, daß wir oft nicht einmal das unmittelbar Gegenwärtige sehen. Darum ist unser Denken zu nächtlicher Zeit reiner, und auch im Herzen erwägen wir dann besser, was uns erregt, ganz, wie der Psalmist sagt: „Was ihr sprechet in euren Herzen, Das bereuet auf euren Lagern!“ (Ps. 4, 5.) Einige schließen auch wohl die Augen, wenn sie in besonderer Geistesanstrengung tieferer Erforschung sich zuwenden wollen: so meiden sie die Hindernisse, welche ihnen die Augen bereiten können. Wir suchen oft geradezu die Einsamkeit, damit kein fremdes Wort unser Ohr trifft, das unsern Geist, während er der Betrachtung obliegt, von der Wahrheit ablenken und die Aufmerksamkeit vernichten könnte.

Wie hätten wir also Grund, diesem Leben Wunsch und Begehr zuzuwenden, da wir doch nur umso mehr mit Sündenlast beschwert werden, je länger wir hier verweilen? - nicht, als ob die Tage an sich böse wären, sondern weil für uns mit dem Wachsen der Tage auch das Wachsen der Sünde sich häuft: geht doch kein Tag ohne Sünde vorüber!

Was ist denn auch wahrhaft Erquickendes in einem Leben, das so voll von Qual und Mühe ist? Zahllose Kränkungen und Müheseligkeiten umlagern den Lebenspfad. Wer zählt die Tränen derer, welche unter den Mühen des Lebens seufzen, ohne dass eine milde Hand sie trocknet? Darum sagt der Prediger: „Ich pries die Toden glücklicher als die Lebendigen und hielt für glücklicher als Beide Den, der noch nicht geboren ward, der die Übeltaten noch nicht gesehen hat, die unter der Sonne geschehen.“ (Ekkl. 4, 2.) Anderswo sagt er, dass eine unzeitige Geburt glücklicher sei als ein hochbetagter Mann; der Todgeborene komme nicht in die Finsternis dieser Welt und brauche inmitten ihrer Torheit sein Leben nicht zu verbringen; er habe die Ruhe gefunden, die Demjenigen, der in die Welt eintrete, nicht beschieden sei. (Ekkl. 6, 3.) Was gibt es also Trostreiches in diesem Leben für den Menschen, der im Dunkeln wandelt und die Erfüllung seiner Wünsche vergeblich ersehnt?

So nimmt uns das gewöhnliche körperliche Leben schon vielfach in Anspruch, und die Gewohnheit steigert die Sorgen noch, durch welche die Frische der Seele gehemmt, ihre Aufmerksamkeit abgelenkt wird.
Da ist keine Ruhe, kein Frieden, keine Freiheit von Zorn und Hader. Zahllose Menschen sind einverstanden zu sterben; aber sie flehen doch nicht um den Tod. Haben sie ihn aber wirklich erfleht, so preisen sie sich glücklich: denn nur im Tode ist Ruhe und Frieden.

Wenn also das Leben voller Müheseligkeiten ist, so muss sein Ende Erleichterung gewähren, und dann ergibt sich der einfache Schluss: jede Erleichterung ist eine Wohltat; der Tod ist aber eine große Erleichterung, weil er die Mühen des Lebens endet: folglich ist der Tod auch eine Wohltat. Deshalb gerade äußerte auch Simeon seine Freude bei der Darstellung des Herrn im Tempel. Er hatte vom heiligen Geiste die Zusage erhalten, dass er den Tod nicht schauen würde, bis er den Gesalbten des Herrn gesehen; und als er nun das Kind sah, nahm er es auf seine Arme und sprach: „Nun, Herr, lassest du deinen Diener in Frieden scheiden.“ Es ist, als wenn aus diesen Worten das Gefühl spräche, dass er nur gezwungen im Leben zurückgehalten würde, nicht aber aus seiner eigenen freien Willensentschließung. Er bittet, entlassen zu werden, als gälte es, aus den Fesseln des Kerkers zur Freiheit zu eilen. Wir sind ja auch in der Tat in diesem Leibesleben von Fesseln gehalten; und schlimmer sind noch die Fesseln, mit denen die Versuchungen uns umstricken und nach dem herrschenden Gesetze der Sünde in die schmachvollste Botmäßigkeit bringen. So sehen wir auch, wie im Todesaugenblicke die Seele des Sterbenden sich allmählich von den Fesseln des Leibes löst und gleichsam aus einer Kerkerhütte entlassen sich aufschwingt.
So drängt es auch David, diesen Ort der Wanderschaft zu verlassen, wenn er sagt: „Ein Ankömmling bin ich dir in diesem Lande und ein Fremdling, wie auch unsere Väter es waren.“ (Ps. 38, 13.) Und weil er ein Fremdling ist, darum will er zu jenem gemeinsamen Vaterlande aller heiligen Seelen eilen: er hat nur die eine Bitte, es möchten ihm, ehe er aus dem Leben scheide, die Sünden vergeben werden, welche ihm nach der Armseligkeit der irdischen Wanderschaft ankleben. Er wusste, dass Demjenigen, welchem hier die Sünden nicht nachgelassen sind, dort im Vaterlande der Heiligen keine Wohnstätte bereitet wird. Dort wird Niemand sein, der nicht würdig ist, in das ewige Leben einzugehen; ― denn das ewige Leben ist volle Schuldlosigkeit. Darum fügt David hinzu: „Vergib mir, dass ich erquicket werde, ehe denn ich hingehe und nicht mehr bin.“

Deshalb bemühen sich die Heiligen auch auf Erden schon, frei zu werden von den Makeln dieser Leiblichkeit, welche uns mit tausend Fesseln binden. Darum streben sie, von den Müheseligkeiten des Lebens sich los zu machen; darum fliehen sie die Vergnügungen sündhafter Lust und ersticken die Flammen der Begierlichkeit. Wer so handelt, der trägt mitten im Leben das Gepräge des Todes an sich: ihm sollen alle Lüste des Fleisches und der Welt sterben, gleichwie er allen Lockungen der Welt stirbt. So war auch Paulus gestorben, wie er selbst bezeugt: „Die Welt ist mir, ich bin der Welt gekreuzigt.“ (Gal. 6, 14.) Damit wir erkennen, dass es sich um ein Gott wohlgefälliges Sterben im Leben handelt, ermahnt er uns: „Immer müssen wir die Abtötung Jesu an unserem Körper tragen, damit auch das Leben des Herrn Jesu an unserem Körper offenbar werde.“ (II. Kor. 4, 10.)

Vielleicht wendet Jemand ein: es stehe geschrieben, dass Gott den Tod nicht gemacht habe. In der Tat war das Leben im Paradiese, wo der Baum des Lebens stand, und das Leben war gewissermaßen das Tagesgestirn für die Menschen. Der Tod war also, weil er gegen den Willen Gottes eingedrungen, ein Übel.
Dem halte ich aber entgegen: wie kann der Tod ein Übel sein, wenn er nach der Meinung der Heiden volle Gefühllosigkeit bringt? und noch mehr, wenn er, wie der Apostel sagt, Christum den Herrn gewinnen lässt? Wo kein Gefühl ist, da ist auch kein Schmerz über irgendwelche Unbild; denn der Schmerz ist ja ein Gefühl. Nun tritt freilich, dessen sind wir gewiss, mit dem Tode nicht Gefühllosigkeit ein; es muß also auch noch das Leben herrschen, und zwar ist es die Seele, welche den Tod überdauert, wie sie Gefühl und Leben fortsetzt. Wenn aber nach dem Tode Leben und Seele noch fortbesteht, so bleibt auch der bessere Teil des Menschen nicht bloß, sondern wird in seinen Vorzügen noch gesteigert.
Nach dem Tode wird die Seele durch Nichts mehr zurückgehalten oder gehindert, was früher dem Tode verfallen war: darum ist ihr Wirken und Tun auch gesteigert, weil sie die eigenen Kräfte ganz frei gebrauchen kann, ohne durch die Gemeinschaft mit dem Leibe, der im Grunde doch mehr zur Hinderung diente, gehemmt zu sein.
Welches Übel soll aber daraus der Seele erwachsen, wenn sie ihre Reinlichkeit bewahrt und die Übung der Tugend allezeit festgehalten hat? War Das nicht der Fall, so liegt das Übel nicht im Tode, sondern im Leben, das vor Gott gar nicht als Leben galt. Was wäre das auch für ein Leben, das mit Sünden und Fehlern bedeckt ist? Wie kommen wir also dazu, den Tod anzuklagen, da dieser doch den wahren Wert des Lebens zur Einlösung bringt oder Leid und Kreuz der Lebenstage abschließt? So bietet der Tod entweder in der Ruhe, die er bringt, das ihm eigentümliche Gut, oder er müht sich um ein Übel, das seinem Wesen fremd ist.

Alles nämlich, was der Seele schadet, kann als ein Übel betrachtet werden; was ihr aber in keiner Weise nachteilig ist, kann auch nicht als ein Übel gelten. Wir können weiter schließen: Alles, was kein Übel ist, ist gut. Was aber fehlerhaft und verderblich ist, dürfen wir ein Übel nennen, während Dasjenige, was frei von verderblichen Fehlern ist, als Gut bezeichnet wird.

Vielleicht wird mir der Einwand gemacht: Kann es denn einen schärferen Gegensatz geben als Leben und Tod? Wenn nun das Leben ein Gut ist, wie wäre der Tod kein Übel? Wir brauchen aber nur näher festzustellen, was Leben und Tod eigentlich ist, um jenen Einwurf zu beseitigen. Leben heißt äusserlich genommen: atmen; denn mit dem letzten Atemzuge tritt der Tod ein. Man wird nun freilich geneigt sein, diesen Lebensodem als ein Gut zu betrachten und dann so zu schließen: Leben ist der Genuß, Sterben ist der Verlust eines hohen Gutes.
So sagt ja auch die Schrift: daß der erste Mensch im Paradiese von allen Bäumen des Gartens, auch vom Baume des Lebens essen sollte; von dem Baume der Erkenntniß des Guten und Bösen aber sollte er nicht essen: an dem Tage, an welchem er davon aß, sollte er des Todes sterben. Der Mensch mißachtete das göttliche Gebot; die Vergeltung blieb ihm nicht aus: aus dem Paradiese verstoßen, mußte er den Tod kosten. So ist denn der Tod ein Übel, weil er die Vollstreckung des Verwerfungsurteils ist.

Wir können einen dreifachen Tod unterscheiden. Zunächst schließt die Sünde ein Sterben ein. „Die Seele, welche sündigt“, sagt der Prophet, „die stirbt.“ (Ezech. 18, 4.) Wir reden aber auch von einem mystischen Tode bei Demjenigen, welcher der Sünde abstirbt und sein Leben in Gott beginnt. Darauf geht das Wort des Apostels: „Wir sind mit ihm durch die Taufe zum Tode begraben.“ Sonst aber ist der Tod die Scheidung von Seele und Leib, welche den Lauf dieses Lebens abschließt.
Unzweifelhaft ist jener Tod, der in der Sünde erfolgt, ein Übel, wie der andere Tod, in welchem man von tödlicher Sündenschuld wieder gerechtfertigt wird, ein unbeschreiblich hohes Gut ist. Der Tod im dritten Sinne des Wortes endlich liegt zwischen Gut und Böse: er erscheint den Gerechten als ein Gut, während er den Meisten Furcht einflößt; er befreit zwar Alle, aber doch erfreut er nur Wenige. Was aber den Tod schwer macht, liegt nicht im Sterben selbst, sondern in unserer Gebrechlichkeit: wir lassen uns von körperlichem Wohlbehagen und von unserer Lebenslust derart gefangen nehmen, dass wir erschrecken, wenn es sich um den Abschluss eines Lebenslaufes handelt, der doch im Grunde reicher an Bitterkeit als an Freude ist. Heilige und weise Männer dachten anders.

Wir wollen inzwischen den Tod im gewöhnlichen Sinne des Wortes, dem Alle unterworfen sind, wieder betrachten. Warum sollten wir denselben fürchten, da er der Seele in keiner Weise schaden kann? Darum sagt ja auch der Herr: „Fürchtet nicht Diejenigen, welche zwar den Leib töten können, die Seele aber zu töten nicht vermögen.“ Durch diesen Tod wird vielmehr die Seele befreit, sofern er die Gemeinschaft mit dem Leibe aufhebt und die Fesseln der Gebrechlichkeit löst. Darum tun wir gut, wenn wir schon im Leibesleben sterben, indem wir unsere Seele über die Fleischeshülle sich erheben und so gleichsam aus ihrem Grabe erstehen lassen. Frei machen sollen wir uns von der Umarmung des Fleisches; lösen sollen wir; uns von Allem, was irdisch ist, damit unser Widersacher in uns Nichts findet, was er als sein Eigentum ansehen könnte. Auf das Ewige sollen wir unseren Blick richten; zu jenem Göttlichen sollen wir auf den Flügeln der Liebe uns aufschwingen. Wir müssen uns hier erheben von Allem, was der Zeit und der Erde gehört.
Zu armselig ist ja die ganze Welt, als dass sie zum Lösegelde für eine einzige Seele ausreichte. Was nützt es denn auch dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber Schaden litte an seiner Seele? Oder welchen Entgelt könntest du für deine Seele geben? Durch Gold und Silber wird sie nicht erkauft, eher zu Grunde gerichtet. Auch die Schönheit des Weibes umstrickt die Seele, wenn man der Gefahr sich aussetzen zu dürfen glaubt. Begierlichkeit, Trauer, Zorn und alle anderen Leidenschaften sind ebenso viele Geschoße, welche in unsere Seele eindringen und sie wie mit schwerem Nagel dem Leibe verbinden.

Fliehen wir also diese Übel und erheben wir unsere Seele zur Ebenbildlichkeit mit Gott! Die Flucht vor der Sünde bringt diese Ebenbildlichkeit; und in treuer Tugendübung wird das Bild Gottes in uns ausgeprägt. Unser Schöpfer hat der Seele die Farbe der Tugend gegeben.

Die Seele des Gerechten bedient sich des Körpers lediglich als eines Werkzeuges, das ihr wie einem erfahrenen Künstler zu Willen sein muss. So bildet sie aus dem Leibe diejenige Gestalt, die sie ihm geben will. In ihm lässt sie den Widerhall ihrer tugendhaften Stimmung wiedertönen, indem sie jetzt die Silberglocke der Keuschheit, jetzt den Gesang der Mäßigkeit und Enthaltsamkeit ertönen lässt: die süße Lieblichkeit jungfräulichen Sinnes und den Ernst würdigen Witwenstandes lässt sie unverkennbar widerstrahlen.

Dem Heiligen ist also Christus das Leben, aber Sterben ist ihm Gewinn. Als treuer Knecht verweigert der Apostel nicht die gehorsame Hingabe des Lebens; als Weiser aber streckt er seine Hand aus nach dem Gewinne, den der Tod ihm bringt. Es ist ja in der Tat ein Gewinn, dem Anwachsen der Sündenschuld entgangen zu sein; ein Gewinn ist es, Schlechteres zu verlassen, um Besseres zu erlangen. Darum fügt eben der Apostel bei: „Aufgelöst und mit Christo zu sein, wäre zwar viel besser; bleiben aber im Fleische ist notwendig euretwegen.“ Die Notwendigkeit liegt in der Förderung des Werkes, das der Herr ihm übertragen hat; das Bessere liegt in der Huld und Liebe Christi und in der Vereinigung mit ihm.

Darnach müssen wir also wohl beachten: Wenn das Leben zur Last wird, so ist der Tod Erlösung; wenn das Leben zur Qual werden kann, so ist der Tod das Heilmittel. Sagt man aber, dass nach dem Tode das Gericht folge, so darf man auch nicht vergessen, dass nach dem Tode das Leben anhebt. Das Leben auf Erden ist nicht wahrhaft gut; ist es aber doch immerhin gut, wie sollte der Tod nicht erst recht gut sein, da mit ihm die Furcht vor dem schrecklichen Gerichte endigt?

Nach allen Richtungen hin darf man also den Tod eine Wohltat nennen, mag man nun erwägen, dass er Widerstrebendes trennt, so dass für immer der Streit ruht, oder dass er ein Hafen ist, nach welchem Diejenigen als nach dem Orte seliger Ruhe sich sehnen, welche von den Stürmen des Lebensmeeres ruhelos umhergeworfen wurden. Und auch Das bleibt von Bedeutung, dass er den Zustand des Menschen nicht verschlechtert: vielmehr lässt er ihn unverändert so, wie er ihn findet, um dem Richter das Urteil anheimzugeben; die Ruhe selbst aber, die er gewährt, entzieht den Menschen ebenso aller Unbill der Gegenwart, wie er in der Erwartung der Zukunft stille Befriedigung gewährt. Dazu kommt dann, dass Diejenigen ganz ohne Grund den Tod fürchten, welche denselben als das Ende der Natur ansehen. Wenn wir nämlich festhalten, dass Gott den Tod nicht geschaffen hat, dass vielmehr der Mensch, nachdem er den Frevel treulosen Ungehorsams sich aufgeladen, von dem Urteilsspruche getroffen ist: es solle der Staub zum Staube zurückkehren; wenn wir daran festhalten, so werden wir finden, dass der Tod nur der Sünde Ziel und Ende setzt; wird ja doch nur die Schuld umso größer und schwerer, als das Leben länger dauert.
Die Vernichtung der Natur wird aber durch die Auferstehung der Toten verhindert: hört im Tode und durch ihn die Schuld auf, so wird durch die Auferstehung auch das natürliche Leben der Unsterblichkeit teilhaftig. So ist denn der Tod eigentlich nur ein Übergang, den man herzhaft ausführen muss: ein Übergang von der Verwesung zur Unverweslichkeit, von der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit, von Sturm und Unruhe zu seliger Ruhe. Der Tod darf uns somit nicht erschrecken, sondern die Segnungen, welche der gut vollbrachte Übergang uns verheißt, müssen uns mit Freude erfüllen. Oder was ist der Tod anders als die Bestattung der Sünden, die Auferstehung der Tugenden?

Der Tod also ist kein Übel weder für die Lebenden, noch für die Toten: von jenen ist er noch ferne, diese haben ihn überstanden. Denjenigen, die ihn noch nicht kennen, kann er eben desshalb auch nicht bitter erscheinen; noch viel weniger ist Das der Fall bei Denen, die dem Leibe nach kein Gefühl mehr haben, für ihre Seele aber Befreiung gefunden haben.

Wenn nun des ungeachtet der Tod den Lebenden schrecklich erscheint, so trifft Das eigentlich nicht den Tod an sich, sondern die falsche vorgefasste Meinung, die sich Jeder vom Tode je nach seinem Gefühle bildet, oder die ihm von der Angst seines unruhigen Gewissens aufgezwungen wird. In letzterem Falle täte man aber besser, die Sündenwunde des Gewissens statt die Bitterkeit des Todes anzuklagen. In der Tat erscheint ja der Tod den Gerechten wie ein Hafen des Friedens; nur den Sündern stellt er sich in den Schrecken des Schiffbruches dar. Für Diejenigen, welche unter einer drückenden Furcht vor dem Tode leiden, ist das Drückende eben nicht der Tod, sondern die Furcht vor dem Tode. Die Furcht aber wurzelt in der eigentümlichen Auffassung, die der Wahrheit widerstreitet und nur ein Ausfluss unserer Armseligkeit ist, die ferner dem Leben, nicht dem Tode selbst angehört.
Wir hätten ja tatsächlich im Tode Nichts zu fürchten, wenn das Leben nicht mit Taten belastet ist, die jene Furcht begründen müssen. Die richtige Erkenntniss lehrt uns, dass wir die Strafen für unsere Vergehungen fürchten müssen; diese Vergehungen sind nicht Handlungen der Toten, sondern der Lebendigen. Das Leben gehört aber uns; seine Handlungen stehen in unserer Gewalt. Der Tod liegt Außer uns; er scheidet Leib und Seele; die Seele macht sich los, der Leib zerfällt! Was sich gelöst von den Fesseln des Irdischen aufschwingt, jubelt in hoher Freude: was in Staub zerfällt, hat kein Gefühl und hat deshalb gar keine Beziehung mehr zu uns.

Der Durchgang zum Tode das Leben ist, wie andererseits wiederum die Rückkehr zum Leben durch die Pforte des Todes führt: kann doch Niemand auferstehen, der nicht zuvor gestorben ist! Nur törichte Menschen erschrecken also vor dem Tode als dem größten Übel; wahrhaft Weise aber sehen im Tode nur die erwünschte Ruhe nach schwerer Arbeit und das Ende aller Übel.

Aber was hat Das mit dem Tode an sich zu tun, wenn es erst nach dem Tode eintritt? Will man indessen einmal Das, was nach dem Tode kommt, auf den Tod selbst beziehen, so muß man auch Das, was nach dem Leben eintritt, auf das Leben beziehen. Strafen und Peinen, die dem Tode eigentümlich wären, gibt es aber gar nicht. Der Tod ist lediglich die Lösung der Seele vom Leibe: die kann aber kein Übel sein, weil es „ja viel besser ist, aufgelöst und mit Christus zu sein“. Der Tod an sich ist also kein Übel. Ganz in gleichem Sinne sagt die Schrift: „Der Tod der Sünder ist gar böse;“ nicht der Tod allgemein, ohne Einschränkung, sondern nur der Tod der Sünder. Auf der andern Seite heißt es: „Der Tod der Gerechten ist kostbar in den Augen des Herrn.“ Somit liegt die Bitterkeit nicht im Tode, sondern lediglich in der Schuld.

Jenes andere Wort der Schrift ferner ist beachtenswert: „Vor dem Tode sollst du Niemanden loben.“ (Ekkl. 11, 30.)
Im Tode darf man das Zeugnis für das hingeschwundene Leben suchen. Auch der Steuermann soll nicht eher gelobt werden, als bis er das Schiff glücklich zum Hafen geführt hat: wie wollte man da einen Menschen loben, ehe er den Ruhepunkt im Tode erreicht hat? Er ist sein eigener Steuermann, da er auf den Untiefen des Lebens umhergeworfen wird; so lange er aber auf des Lebens Meere weilt, ist er auch der Gefahr des Schiffbruches ausgesetzt. Der Feldherr greift nicht nach dem Siegeskranze, ehe die Schlacht zu Ende geführt und entschieden ist; der Soldat im Kriege legt nicht eher seine Waffen nieder, verlangt nicht eher nach dem Lohne seiner Kriegsmühen, als bis der Feind überwunden ist. Der Tod bringt in gleicher Weise die volle Berechtigung auf des Lebens Sold und Lohn; mit ihm tritt erst die verdiente Gunst ehrenvoller Entlassung ein.

Kann man denn noch im Ernste bezweifeln, daß der Tod ein Gut ist, wenn man bedenkt, daß in ihm Alles, was uns Unruhe, Beschämung, Elend bringt, Alles, was voll Gefahren und Versuchungen ist, zur Ruhe gebracht wird? daß Dieses alles gleichsam in den Käfig des Grabes eingeschlossen ist? Das Grab birgt nun die wilde Wut des Sturmes, gleich einem entseelten Leichname; das Band aber, welches die Seele an den Leib fesselte, ist zu Staub geworden. Dagegen ist das Bessere im Menschen, was der Tugend hold, dem Gehorsam unterworfen, dem Guten zugetan war, was der ewigen Glorie zustrebte und Gott in steter Treue sich unterwarf, hinaufgeeilt zum Himmel: dort bleibt es mit dem reinen, unsterblichen, ewigen höchsten Gute unzertrennlich vereint. Bei ihm weilt die Seele, dessen Ebenbild sie ist.

Deshalb muss denn auch die Seele, welche jenem unsichtbaren, ewig guten Gotte anhängt und Alles flieht, was irdisch und vergänglich ist, eine solche Seele muss Dem ähnlich werden, was sie verlangt, worin sie lebt, wovon sie sich nährt. Sie strebt dem Unsterblichen zu, und darum ist sie selbst nicht mehr sterblich. Die Seele, welche sündigt, stirbt, — zwar nicht in dem Sinne, dass sie in sich selbst aufgelöst würde und zerfiele; wohl aber stirbt sie Gott, weil sie der Sünde lebt. Die Seele, welche von der Sünde sich frei hält, stirbt also auch nicht; sie bleibt, wie in ihrer Wesenheit ungeteilt, so auch in der Gnade und Glorie.

Wie sollte auch die Wesenheit der Seele zu Grunde gehen können, da es ja die Seele ist, von welcher das Leben ausgeht! Mit der Seele wird das Leben eingegossen; scheidet aber die Seele, so scheidet auch das Leben: die Seele ist also das Leben. Wie sollte sie nun dem Tode ausgesetzt sein, da sie den Tod aufhebt? Schnee und Feuersglut vertragen sich nicht, vielmehr schmilzt der Schnee alsbald von der Wärme; Licht und Finsternis sind nicht vereinbar, da die Finsternis von dem Licht zerstreut wird: genau so nimmt aber auch die Seele, von welcher alles Leben ausgeht, den Tod nicht an, und darum stirbt sie denn auch nicht.

So empfiehl denn auch du deine Seele in die Hände des Herrn; — nicht bloß in dem Augenblicke, wo sie aus dem Leibe scheidet, sondern auch, während sie noch im Leibe weilt, ruht sie in Gottes Hand: du freilich siehst nicht, woher sie kommt, wohin sie geht. In dir ist deine Seele, aber sie ist auch mit Gott vereinigt. Auch das Herz des Königs ist nach der Schrift in der Hand des Herrn und wird von ihm regiert und geleitet. Das Herz wird nun erfüllt vom Geiste, der ja die eigentliche Kraft der Seele ist; eine Kraft, die sich nicht in äußeren Proben bewährt, sondern in billigen, frommen, gerechten Entschlüssen kund gibt. Wenn man somit sagen darf, das Herz eines Menschen sei in Gottes Hand, so gilt Das noch viel mehr von der Seele. Ist aber die Seele in Gottes Hand, so kann sie auch niemals im Grabe mit dem Leibe eingeschlossen, niemals mit ihm verbrannt werden: sie erfreut sich vielmehr nach ihrem Hinscheiden seliger Ruhe.

Wie hoch stellte doch Job den Tod, da er sprach: Der Segen dessen, der sterben will, möge auf mich kommen!“ (Job 29, 13. ) Zwar segnete auch Isaak sterbend seine Söhne, wie Jakob den zwölf Stammvätern des auserwählten Volkes seinen Segen gab; die Gnadenwirkung dieses Segens konnte aber lediglich den hohen Verdiensten der Segnenden oder der väterlichen Liebe zugeschrieben werden. Bei dem Ausspruche Job´s handelt es sich gar nicht um das Vorrecht der Verdienste, auch nicht um die Wirkung der Liebe, sondern lediglich um das Vorrecht des Todes an und für sich: es muss in dem Segen des Sterbenden überhaupt eine besondere Kraft liegen, da Job sich jenen wünscht. Darum sollen wir jenes Wort erwägen und dem Herzen tief einprägen.

Wenn wir Jemanden sehen, der in Not und Armut zu sterben droht, so sollen wir mit unserem Vermögen ihm beispringen; Jeder von uns möge in solchem Falle sagen: „Der Segen des Sterbenden komme über mich.“ Sehen wir Jemanden schwach und gebrechlich: verlassen wir ihn nicht; finden wir Jemanden, der im Todeskampfe ringt, bleiben wir bei ihm! Dann mag auch uns gestattet sein, zu sagen: „Der Segen des Sterbenden komme über mich.“ Auch dich möge loben und benedeien der Sterbende, wie Der, welcher am Leben verzweifeln muss; der schwer Verwundete, wie Der, welcher vom Siechtum gebrochen und dem Tode nahe ist, möge dich rühmen. Wie viele Segnungen schließt das Wort des Dulders Job ein! Wie oft aber hat es mich mit Scham erfüllt, wenn ich an einem Sterbenden vorüberging, wenn ich schwer Kranke nicht besuchte, wenn ich von den Dürftigen mich verächtlich abwendete, wenn ich Gefangene nicht loskaufte, wenn ich den schwachen Greis übersah! So muss denn jenes Wort ständig in unserem Herzen sein, die Hartherzigen aufzustacheln und Diejenigen zu mahnen, die geneigteren Herzens sind. Es mögen die letzten Worte des Sterbenden dir entgegentönen; es möge die Seele, wenn sie des Leibes Wohnung verlässt, den reichsten Segen dir zuführen. Auch Den, welcher zum Tode geführt wird, entreiße der Gefahr; wäre er ohne deine Vermittlung zu Grunde gegangen, so kannst du wiederum mit Job sagen: „Der Segen des Verlorenen komme über mich.“

Fürchten wir also nicht, von unseren Mitmenschen dereinst aufgenommen zu werden; scheuen wir das Ende nicht, das Allen gesetzt ist! Esdras findet in ihm den Lohn für seine Hingebung, da der Herr ihm sagt: „Du wirst aufgenommen werden von den Menschen, aber du wirst deine Zuflucht haben mit meinem Sohne und mit deines Gleichen.“ (IV. Esdr. 14, 9) Ihm erschien es schon ruhm- und freudenreich, mit seines Gleichen zu verkehren: wie viel glorreicher wird es für uns sein, zu den heiligeren, besseren Geistern zu kommen, deren Taten wir lobpreisend bewundern?!

So wollen wir denn in festem Vertrauen unverzagt zu unserem Erlöser Jesus Christus gehen. Ohne Zagen wollen wir, wenn unser Tag kommt, zu unserem Vater Abraham und zur Versammlung der Patriarchen eilen; aufnehmen möge uns die Schaar der Heiligen und Gerechten. Zu unseren Vätern, zu den Lehrern unseres Glaubens werden wir gehen; fehlen dann die heiligen Werke, so möge unser Glaube eintreten zur Verteidigung der Himmelserbschaft. Dorthin werden wir eilen, wo Abrahams Schooß bereit ist, die Armen aufzunehmen, wie er Lazarus aufgenommen hat: dort werden ja Alle Ruhe finden, die im Leben Mühsal und Beschwerden erduldet haben.

Breite denn, heiliger Patriarch, deine Arme aus, diesen Elenden aufzunehmen; weite deinen Schooß, um noch Mehrere aufzunehmen, weil ja so Viele an den Herrn geglaubt haben. Freilich droht die Gefahr, dass die Gottlosigkeit überhandnimmt, dass die Liebe erkaltet, während der Glaube wächst. Wir wollen zu Denen eilen, die im Reiche Gottes mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische sitzen: sie haben, da sie geladen waren, keine törichte Entschuldigung vorgebracht. Wir werden dorthin eilen, wo das Paradies der Wonne ist, wo Adam, der unter die Räuber fiel, nicht länger seine Wunden beweint; wo der Schächer, selbst ein Räuber, der seligen Gemeinschaft sich erfreut, wo keine Wolken, keine Donner und Blitze, keine Stürme und Finsternisse, kein Abend, keine Nacht den ewigen Frieden unterbrechen; wo allein die Herrlichkeit Gottes erglänzt. Ja der Herr ist das Licht; und dieses wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, wird dort Allen erglänzen. Wir werden dorthin gehen, wo der Herr Jesus seinen Dienern die Wohnungen bereitet hat, damit wir dort seien, wo er ist. So hat er es gewollt. Darum hat er gesagt: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen;“ und wiederum: „Ich komme und rufe euch zu mir, damit ihr seid, wo ich bin.“ (Joh. 14, 2.)

Fragmente aus "Der Tod ein Gut", Ambrosius von Mailand (340-397)